Internationaler Tag der Muttersprache | 5 Jahre nach der Annexion der Krim

Wir haben einen ausführlichen Bericht über ukrainische Sprache in unserem Vereinsmagazin Vereinsmagazin veröffentlicht.

Heute schreiben wir über Krimtatarische Sprache und veröffentlichen wir ein Gedicht von Yunus Quandim „Ana tilim“ („Muttersprache“) auf Krimtatarisch und Deutsch zum internationalen Tag der Muttersprache.

Text: Roman Alieiev  Übersetzung: Hanno Meissner  Fotos: Anna Vyshnyak

Krimtatarisch ist eine der wenigen indigenen Sprachen in der Ukraine. Sie ist bereits seit dem frühen Mittelalter auf dem Territorium der heutigen Ukraine nachgewiesen und spiegelt sich bis heute in einer Vielzahl geografischer Namen wider, die von von Kiew (Kyiw) bis zur Krim reichen.
Aufgrund des systematischen Drucks ihre Träger, die Krimtataren, im Laufe der letzten zwei Jahrhunderte, wird die Sprache von der Lingua Franca innerhalb des unabhängigen Staates des Krim-Khanates zu einer „stark gefährdeten“ Sprache gemäß der UNESCO-Klassifikation  umgewandelt.

Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts war die Sprache mit ihren Dialekten in der gesamten Südukraine von der heutigen Stadt Odessa im Westen bis nach Mariupol im Osten verbreitet. Selbst die armenische Gemeinschaft der Westukraine benutzte diese Sprache seit Jahrhunderten zur Dokumentation ihres Gemeinschaftslebens.
Nach der Annexion des Krim-Khanates durch das Russische Reich gerieten die Bewohner der Region und damit auch ihre Sprache selbst in einen rapiden Niedergang. 1779 wurden alle Christen (von denen die Mehrheit krimtatarische Sprache sprach) von der Krim umgesiedelt. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden alle Budschak-Tataren aus dem heutigen Gebiet Odessa umgesiedelt. In den Jahren 1859 bis 1861 waren alle Krim-Nogais gezwungen, die heutigen Gebiete Saporischschja und Cherson zu verlassen, während zwei Drittel der tatarischen Bevölkerung der Krim von der Halbinsel vertrieben wurde.
Nach dem Zusammenbruch des Russischen Reiches zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es in sämtlichen Regionen der Ukraine keine krimtatarischen Sprecher mehr, mit Ausnahme der Krim und einigen Dörfern in der Region um Mariupol. Selbst auf der Krim wurde die krimtatarische Sprache zu diesem Zeitpunkt nur noch von etwa 20% der Bevölkerung gesprochen.
In den ersten Jahren der UdSSR erlebte die Sprache im Zuge der Nationalitätenpolitik Lenins eine kurze Phase der Wiederbelebung, bis Stalin diese in den 1930er Jahren abrupt stoppte. Gegen Ende des Jahrzehnts, während des „Großen Terrors“ wurden die meisten krimtatarischen Intellektuellen zum Tode verurteilt. Weniger als zehn Jahre später, gegen Ende des Zweiten Weltkrieges 1944, wurden alle verbliebenen Krimtataren unter dem Vorwurf der Kollaboration mit Nazi-Deutschland von der Krim nach Zentralasien deportiert. Der Name ihrer Sprache wurde aus sämtlichen sowjetischen Wörterbüchern entfernt und der Staat beendete offiziell ihre Anerkennung als eine der existierenden unabhängigen Sprachen der UdSSR.
Erst mit Gorbatschows Perestroika gegen Ende der 1980er Jahre durften die Krimtataren in ihre Heimat zurückkehren. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Errichtung eines unabhängigen ukrainischen Staates erlebte die krimtatarische Sprache eine allmähliche Wiederbelebung. Es wurden krimtatarische Schulen und Universitäten, nationale Zeitungen und Fernsehsender gegründet.
Trotzdem stellen die Sprecher der krimtatarischen Sprache nach 200 Jahren Verfolgung weniger als 20% der Bevölkerung der Krim und die Sprache wird selbst im häuslichen Rahmen nur noch selten gesprochen.

Mit der Annexion der Halbinsel durch die Russische Föderation im Jahr 2014 stieß die Sprache auf neue Herausforderungen. Zahlreiche Zeitungen sowie der krimtatarische Fernsehsender ATR wurden innerhalb des besetzten Gebietes verboten. In mehreren Schulen wurde die Unterrichtssprache von Krimtatarisch in Russisch geändert. Die krimtatarische Schriftsprache wurde von der in den meisten Turksprachen üblichen lateinischen Schrift auf das kyrillische Alphabet umgestellt.

Die derzeitigen politischen Umstände verheißen für die Zukunft der Sprache wenig Positives, so dass verstärkte internationale Aufmerksamkeit erforderlich ist.

 

 

 

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