Kampf um Reformen

übernommen aus Facebook-Post  von Ralf Fücks (Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung)
Ukraine-Notizen, 14.02. 2016, Kiew

Gespräch mit Abgeordneten aus der interfraktionellen Gruppe der „Eurooptimisten“ (entschiedene Demokraten, die meisten kommen aus der zivilgesellschaftlichen Opposition) zur innenpolitischen Lage.

Der spektakuläre Rücktritt des angesehenen Wirtschaftsminister Abromavicius aus Protest gegen die Sabotage der Reformpolitik aus dem Zentrum des Machtapparats hat die politische Krise in Kiew weiter angeheizt. Präsident Poroshenko steht am Scheideweg, erst recht nach dem beispiellosen Brandbrief von 11 westlichen Botschaftern und der Warnung von IWF-Chefin Lagarde, die finanzielle Unterstützung des Landes einzustellen, falls die vereinbarten Strukturreformen nicht zügig angegangen werden.

Bislang lavierte er zwischen Erneuerung und Restauration. Dirigenten und Nutznießer des korruptiven Systems finden sich bis in die Präsidialadministration und den „Block Poroshenko“ im Parlament. Dazu gehört die Besetzung von Schlüsselpositionen in Staatsunternehmen mit loyalen Parteigängern, die im Gegenzug für großzügige Spenden sorgen. Eine Zentralfigur dieses Systems ist der stellvertretende Vorsitzende der Poroshenko-Fraktion, Kononenko, der von Abromavicius namentlich an den Pranger gestellt wurde.

Am 11. Februar veröffentlichten führende Köpfe aus der NGO- und Think Tank-Szene einen offenen Brief, in dem sie vor einer wachsenden Vertrauenskrise zwischen Regierung und Gesellschaft warnen. Sie fordern eine Regierungsumbildung, die Entfernung aller Personen aus politischen Ämtern, die im Konflikt mit ihren wirtschaftlichen Interessen stehen, sowie eine Änderung des Wahlgesetzes als Voraussetzung für vorgezogene Neuwahlen. Der Ruf nach einem politischen und personellen Neuanfang wird breit geteilt. Er richtet sich insbesondere gegen Premier Jazeniuk, dessen öffentliches Ansehen sich gegen Null bewegt, aber auch gegen den Generalstaatsanwalt Viktor Schokin, dem vorgeworfen wird, den Kampf gegen die Korruption zu verschleppen und alte Seilschaften zu protegieren. Die „graue Kardinäle“ genannten Strippenzieher des korruptiven Systems sollen gehen, um endlich den Weg für die überfälligen wirtschaftlichen und administrativen Reformen freizumachen.

Unter dem doppelten Druck der Zivilgesellschaft und der internationalen Institutionen wird Poroshenko die Krise nicht länger aussitzen können. Die Ablösung Jazeniuks im Verein mit einer weitgehenden Regierungsumbildung steht ins Haus. Gleichzeitig muss ein Weg gefunden werden, eine regierungsfähige Mehrheit in der Rada zusammenzuhalten. Die Flucht in Neuwahlen wäre kontraproduktiv, solange das jetzige Wahlrecht nicht geändert ist, das der Manipulation von Wahllisten zugunsten finanzstarker Lobbys Tür und Tor öffnet. Auch eine vorzeitige Präsidentenwahl gilt als nicht wünschenswert – sie würde eher das politische Vakuum im Zentrum vergrößern und die zentrifugalen Tendenzen verstärken, zumal keine überzeugende Alternative zu Poroshenko in Sicht ist.

Neben einem personellen Neubeginn in Regierungund Parlament kommt es vor allem darauf an, die unabhängigen Medien als kritisches Korrektiv zu den Parteien zu stärken. Eine Schlüsselrolle spielt dabei die Umwandlung der staatlichen Medien in einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Eine weitere Großbaustelle ist der Umbau der Justiz, die einen denkbar schlechten Ruf in der Bevölkerung genießt. Eine unabhängige, integere Justiz und ein neuer Ethos des Rechts sind unverzichtbarer Bestandteil eines demokratischen Systems von „checks & balances“.

Ein bemerkenswertes Detail in diesem Puzzle istdie vergleichsweise hohe Popularität des ehemaligen georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili, der sich jetzt als Gouverneur der Region Odessa als Vorkämpfer gegen Korruption und Misswirtschaft profiliert. In Umfragen wird er regelmäßig als einer der potentiellen Nachfolger Jazeniuks genannt. Bereits im jetzigen Kabinett amtieren Minister georgischer oder baltischer Herkunft gemeinsam mit Kollegen, die zwar in der Ukraine geboren wurden, aber lange in den USA gelebt haben. Es ist nicht gerade ein Zeichen für den vermeintlichen ukrainischen Nationalismus, dass in weiten Teilen der Öffentlichkeit die fachliche Qualifizierung von Ministern und hohen Beamten höher bewertet wird als ihre Herkunft. Man kann in der multinationalen Zusammensetzung des Kabinetts eine Fortsetzung der Proteste auf dem Maidan sehen, an denen Menschen aus unterschiedlichen ehemaligen Sowjetrepubliken teilnahmen.

Das ukrainische Experiment ist nicht nur vonnationaler Bedeutung – es ist ein Schlüssel für die Zukunft des gesamten postsowjetischen Raums, nicht zuletzt für Russland selbst. Genau deshalb ist der demokratische Aufbruch der Ukraine den russischen Machthabern ein Dorn im Auge. Umgekehrt sollte die EU ein hohes Interesse am Erfolg dieses Experiments haben. Dazu gehören klare Erwartungen an die ukrainische Regierung hinsichtlich rechtsstaatlicher und marktwirtschaftlicher Reformen. Wirken werden sie nur, wenn kein Zweifel an der Bereitschaft besteht, die Ukraine auf ihrem Weg nach Europa politisch und finanziell zu unterstützen.

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