Die leisen Worte des Regisseurs ziehen uns in die Handlung. Er ist die Stimme dieser Tage vor dem Ende der Stadt. Ruhig und gedämpft im Angesicht der willkürlichen Gewalt. Die sich als Befreier darstellen, die russischen Truppen, nehmen zuerst die Merkmale unserer Zivilisation: Strom, Internet, Wasser. Sie bombardieren Krankenhäuser.
Die Menschen, die in Braunschweig ins Kino gekommen sind am 3.11.24, sind sich dessen bewußt. Sie folgen dem Aufruf von Initiatorin Zoya Trupp zur Unterstützung der Ukraine über unseren Verein und geben mit vollen Händen.
Große Spende für unseren Verein
Der Film endet, bevor die russischen Truppen die Stadt vollständig eingenommen und zum Großteil zerstört haben. Er endet vor der Bombardierung des Theaters, der Zerstörung des Asowstahlwerks, und bevor Bewohner in Filtrationslager verschleppt werden.
Was er also nicht zeigt, das ist, wie wir Tauben essen, oder vergammeltes Fleisch, wie wir aus Pfützen trinken. Wie Menschen ihre Habe und ihr Heim genommen wird, indem man schlicht die Straße umbenennt. Wie die Bewohner einer Stadt zu Almosenempfängern werden seitdem ihre Arbeitsstätten von Russland gesprengt wurden.
Wie die, die fort wollten, in den Lagern in den Lagern nicht mehr als gewöhnliche Menschen behandelt werden. Und auch die hatten schon wenig zu sagen, mit den Worten von Anne Appelbaum, Friedenspreisträgerin:
„Wenn gewöhnliche Menschen keine Rechte, keine Macht und keine Stimme haben, warum sollte es dann eine Rolle spielen, ob sie leben oder sterben?“
Machen wir uns keine Illusionen. Wer nicht für Russland ist, oder im Verdacht steht, wird erschossen.
All das spielt sich nur im Kopf ab, und in den Erzählungen der Augenzeugen. Wer nicht überlebt, kann auch nicht berichten.
All das sieht man nicht.
die im Dunkeln sieht man nicht
„Man sieht nur die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht.“
Der Satz aus Brechts Dreigroschenoper bezeichnet ursprünglich eine Figur der Unterwelt. Das Nichtgesehen-werden ist bei ihr Plan und Programm. Doch er steht oft bezeichnend auch für die, die scheinbar unabsichtlich übersehen werden, Jugendliche in der Politik, Flut- und Dürreopfer im falschen Erdteil, Menschen in den offenen und geschlossenen Gefängnissen der Diktaturen und hinter den Linien ihrer Armeen.
Fast nichts wissen wir heute über Mariupol.
Das wenige, was wir wissen, berichten Menschen, die nicht auf einem Foto abgebildet sein wollen. Sie sind am Sonntagmittag in Braunschweig zu Gast. Auch sie sind gerade noch entkommen.
Der Film hallt nach. Er hat den Oskar gewonnen. Er steht im Licht.
Der Film zeigt die ersten Tage der Invasion. Die völlige Unklarheit einer Zivilbevölkerung, über das was kommt.
Kann man das, was kommt, überleben?
Mehrfach spielen sich in den ersten Tagen Schicksale vor der Kamera ab. Sie hat es getroffen. Sie war vier Jahre alt. Die Ärzte und Sanitäter haben alles geleistet. Sie konnten sie nicht retten. Er war 16. Die Frau auf der Trage, von der die russische Propaganda später behauptet, sie sei Schauspielerin.
Nein, 20 Tage in Mariupol ist nicht der beste Film, der über Mariupol hätte gemacht werden können. Deswegen hat er keinen Oskar bekommen. Aber warum dann?
Er ist der einzige Film, der überlebt hat.
Es ist das einzige Dokument was wir haben.
Es erzählt über die ersten zwanzig aufeinanderfolgenden Tage von der Ankunft Russlands in der zivilisierten Welt, und damit der Beginn vom Ende der Stadt. Dafür hat er den Oskar bekommen, und dafür steht er im Licht.
Doch umso gruseliger sind die Dinge, die sich im Kopf abspielen über das was geschah nach dem 15. März.
Denn am 15. März endet das Licht.
Danach kommt die Finsternis der russischen Besatzung.
Die AP Journalisten retten ihre Haut. Sie retten aber vor allem das Filmmaterial für die Nachwelt.
Das, wofür nach dem knappen Kommentar einer Gaststudentin aus der Ukraine, man sie sofort umgebracht hätte. Wir können mit Blick auf die Lage in der Welt das Unsrige tun, damit die grausame Welt Russlands nicht näher kommt.
Der Film ist in der deutschen Fassung bis 17.11.24 in der ARD-Mediathek zu sehen. https://www.ardmediathek.de